Locker vom Hocker: Der Eiscrememann
Liebe Küstenleser!
Manchmal leiste ich mir den Luxus, so biekie in die Vergangenheit abzutauchen. Nou die dag kam die Erinnerung an den Eiscrememann aus meiner Kindheit in Windhoek an die Oberfläche meines Hippocampus. Nee, nee, liebe Südwester Freunde, ich spreche hier nicht von einem Camp für Hippos. Ich rede von dem Teil des Gehirns, das hauptsächlich für das Gedächtnis verantwortlich ist, und das hört sich nun mal an wie ein Nilpferdlager, das uns ,,Namibioten” wohl eher bekannt ist als die seepferdchenförmige Ansammlung von Nervenzellen in unserem Gehirn.
Können Sie das speichelfördernde Gebimmel in Gedanken hören, dieses wie goldene Glocken klingende Versprechen auf ein cremiges, mit Mandelsplittern knusprig verziertes Cornetto-Waffeleis oder eine erfrischende Capri-Leckerei am Stil? Wenn der Eiscrememann im blütenweißen Outfit mit dem Fahrrad von Haus zu Haus radelte, die verlockende weiße Kühltruhe vor sich her jonglierend?
Was habe ich diese schwarzhäutigen Afrikaner geliebt, die immer freundlich lächelnd ihre blendend weißen Zähne zeigten und ihre Eiscremekarre entschlossen vor sich herschoben! Es wurden nie bleckende Zähne der Aggression gezeigt. Nein, diese Menschen mit den weißen Perlen in dem dunklen Gesicht waren uns immer wohlgesonnen und ließen verständnisvoll-lachend zu, dass wir Kinder auf das Gestänge über dem Vorderreifen kletterten, in dem sich die Coolbox befand. Dann wurde der kleine Deckel gelüftet, und wir durften uns mit den Blicken in der gekühlten Zuckerware verlieren.
Der Eiscrememann war unsere Seligkeit!
Unsere spärlichen Pennys ließen meist nur ein fruchtiges Capri aus gefärbtem Zuckerwasser zu. Mein Vater war nun mal nicht Arzt oder Rechtsanwalt, sondern bloss ein Ethnologe im Staatsdienst. Cornetto-Eis mit echter Milch und Sahne, das war purer Luxus! Dieses Gefühl aber, an solch einem orangefarbenen Stück kaltem Eis zu lutschen, das war für uns die Seligkeit!
Wenn ich heute sehe, wie Kinder vor der Vitrine einer Eisdiele stehen und vor überbordender bzw. großer Auswahl ihre Entscheidungskraft und Präferenzen verloren zu haben scheinen, dann krieg’ ich ‘ne Krise ,wenn ich nicht gerade in Melancholie verfallen will!
Vor 20 Jahren, bei einem Besuch mit meinen beiden damals kleinen Söhnen in Deutschland, wollte ein Freund den Kindern aus dem noch unverdorbenen Namibia einen Gefallen tun und lud sie in die größte Eisdiele in der Umgebung ein. Die Jungs ließen ihren Blick über blaues Delfin-, grünes Apfel-, meliertes Schokoladen-Pfefferminze-, gelbes Bananen und rotes Erd- und Himbeereis schweifen und meinten dann hintereinanderweg: ,,Ein Vanilleeis bitte!” – ,,Ich auch!”
Übrigens ist der älteste Eiscrememann in England gerade 103 Jahre alt geworden. Giovanni Rozzo trat 1995 ,,offiziell” in den Ruhestand, nachdem er 27 Jahre lang im Zentrum von Cambridge Eis von einem Eiscremewagen aus verkaufte. Seine Familie hat seine Eiscremekarre kürzlich aufgefixt, und nun sieht sie wieder so aus wie im Jahre 1966, als er bereits seine süße Ware verkaufte.
Mit 82 Jahren ist der Italiener, der in den 50iger Jahren in Großbritannien Arbeit suchte, noch mit seinem Wagen umhergefahren und hat Eis verkauft, bevor er seinem Rentendasein frönte.
Ich denke heute mit Sehnsucht daran zurück, wie unkompliziert und besonders das Eisessen damals war, weil man keine große Auswahl hatte, das Geld knapp war und man daher bescheiden und dankbar sein konnte. In einer übersättigten Gesellschaft ist dieser Reiz leider verloren gegangen.
Ihre Susann Kinghorn, die heute froh um ihre Erfahrung damals ist
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