Locker vom Hocker: Schönheit und Schmerz

Liebe Küstenleser!
Beim Ostermarkt im Green Market Centre fragte ich drei Swakopmunder Damen, die alle mindestens eine Tätowierung irgendwo am sichtbaren Körper hatten, was ihnen an solch einer Zeichnung auf der Haut eigentlich gefällt. Auf eine einfache Frage erhielt ich eine einfache Antwort: ,,Mir gefällt das einfach…ich finde es schön.”
Mir wiederum haben Tätowierungen noch nie sonderlich zugesagt. Da lässt man sich unter Schmerzen mit einer Nadel bis zu 150 Mal pro Sekunde in die äußerst empfindliche Haut stechen. Warum? Um sich mit Tinte ein Bild einspritzen zu lassen, das einem später eventuell nicht mehr gefällt, sodass man es unter weiterer Pein wieder entfernen lässt. Ich kann mir vorstellen, dass selbst der hartgesottenste Seemann oder unser taffer Südwester ziemlich die Zähne zusammenbeißen muss dabei. Und irgendwie verbinde ich die Tatsache, dass man gewillt ist, sich selbst Schmerzen zuzufügen, mit einer Art Masochismus oder Selbstgeißelung.
Warum bin ich auch sonst nicht unbedingt für Tätowierungen zu haben, auch wenn sie ein uraltes Schönheitsideal verkörpern? In England habe ich gesehen, wie wenig individualistisch und ästhetisch diese ,,Kunstwerke” auf der Haut eigentlich sind. Jeder dritte trägt irgendwo eines zur Schau, und wenn man dann zum xten Mal so ein Hautmal auf dem entblößten Arm einer 70jährigen sieht, dann ist da wrachtach niks mooies oder schnaakses mehr dran.
Körperliche Schönheit, die mit Qual verbunden ist, gibt es überall auf der Welt. Beim äthiopischen Volk der Mursi zum Beispiel wird die Unterlippe aufgeschnitten und langsam gedehnt, indem immer größere Tonteller eingesetzt werden. Frauen schlägt man daher ab dem 20. Lebensjahr einige Zähne aus, durchbohrt die Unterlippen und dehnt sie ein Jahr lang auf, bis sie ihre endgültige Größe haben.
Ein anderes Beispiel für schmerzhafte Schönheitsideale sind die Verkrüppelungen der Füße chinesischer Frauen bis in die Anfänge des 20. Jhs. hinein, denen somit ein trippelnder Gang auf sgn. Lotusfüßchen aufgezwungen werden sollte.
Der große Unterschied zwischen den gebrochenen Füßen der chinesischen Frauen sowie den zerschnittenen Unterlippen der Mursi und einer Tätowierung liegt wohl darin, dass die Chinesinnen und Mursi-Frauen sozusagen fast keine andere Wahl hatten/haben. Sie mussten sich trotz extremer Gesundheitsrisiken die Füße nach hinten binden bzw. die Zähne ausschlagen lassen, um einen Mann zu finden, was einen gesellschaftlich sehr hohen Stellenwert hatte/hat. Das vergleichsweise weniger intensive Eina-Erlebnis einer Tätowierung heute ist freiwillig.
Wie dem auch sei, körperliche Schönheit liegt jedenfalls, wie jede Form von Ästhetik, im Auge jedes einzelnen Betrachters und kennt keine Grenzen. Fuss mit Klippe2 April 2016

Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie fasziniert ich von der Zehstruktur meiner Klassenkameradin Irene Lühl (heute Trossbach) war, mit der ich an der Deutschen Höheren Privatschule Windhoek 12 Jahre lang die Schulbank drückte. Zwischen dem großen und dem zweiten Zeh hatte sie eine Lücke, die mir so sehr gefiel, dass ich eine Zeitlang mit einem Steinchen zwischen diesen beiden Fußfortsätzen herumlief. Ich wollte unbedingt auch so einen Spalt zwischen just diesen beiden Zehen haben. Irgendwann wurde es mir dann aber doch zu anstrengend, mit solch einer reibenden und pieksenden Klippe zwischen den empfindlichen Zehen herumzulaufen. Der Erfolg wollte sich eh nicht zeigen, sodass ich endlich akzeptierte, dass meine Zehen sich eben zueinander hingezogen fühlen.
Ihre  Susann Kinghorn, die insgesamt Frieden mit sich gemacht hat

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